Wirtschaftlicher Überblick
Ein Jahr voller Widersprüche
2023 war das Jahr der Widersprüche: Abkühlung der Märkte und dennoch leicht steigende Preise. Die Materialpreissteigerung hat sich jedoch weitestgehend stabilisiert; es konnten sogar Rückgänge beobachtet werden. Gleichzeitig ist die Anzahl der Bauaufträge gesunken. Im Vergleich zu 2022 sind im Jahr 2023 ungefähr 5 Prozent weniger Bauaufträge eingereicht worden. Diese sich bereits 2022 abzeichnenden Veränderungen sind im Jahr 2023 nun tatsächlich eingetreten.
In den ersten drei Quartalen 2023 stagnierte die deutsche Wirtschaft. Im vierten Quartal ist das BIP um 0,3 Prozent gesunken, was zu einem Gesamtrückgang von -0,2 Prozent führte. Die meisten Experten rechnen für 2024 mit weiterer Stagnation. Ein Wiederaufleben der Wirtschaft wird für 2025 erwartet.
Quelle: Destatis
Quelle: Destatis
Deutschland ist Europas größte Volkswirtschaft, beginnt das Jahr 2024 jedoch als eine der schwächsten. 2023 war Deutschland das einzige Mitglied der G7 mit einer schrumpfenden Wirtschaft. Die Prognosen für Deutschland zeigen entweder eine Stagnation oder ein leichtes Wachstum für 2024, wenn auch eine weitaus geringere Wachstumsrate als für die anderen führenden Volkswirtschaften in der Welt.
Sowohl der Internationale Währungsfonds (IWF) als auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sagen eine leichte Steigerung des BIP in Deutschland für 2024 voraus, aber nur etwa halb so viel wie in der Eurozone und weit unterhalb der Hälfte der durchschnittlichen Wachstumsrate der anderen G7-Länder.
Die Inflation, gemessen am Verbraucherpreisindex (VPI), ist im Jahr 2023 relativ gleichmäßig gesunken. Während sie im Januar noch bei 8,7 Prozent lag, betrug sie im Dezember nur noch 3,7 Prozent. Der niedrigste Wert lag bei 3,2 Prozent im November. Im Januar 2024 lag die Inflationsrate sogar bei nur 2,9 Prozent, dem niedrigsten Wert seit 2021. Eine straffere Geld- und Fiskalpolitik und ein erschüttertes Vertrauen der Verbraucher werden sich negativ auf Investitionen auswirken, was wiederum die Preise und das Wirtschaftswachstum bremsen wird. Experten sagen voraus, dass sich der VPI 2024 der Zweiprozentmarke nähern wird.
Quelle: Statista.com
Andererseits sind die langfristigen Zinssätze in Deutschland bis Oktober 2023 stetig angestiegen. In diesem Monat erreichten sie ihren Höhepunkt mit 2,82 Prozent. Danach sanken sie für zwei Monate stark, bis sie im Dezember bei nur noch 2,1 Prozent lagen, dem niedrigsten Wert im Jahr 2023.
Quelle: Ycharts
Die Zinssätze der EZB (Europäischen Zentralbank) blieben im Januar 2024 stabil. Experten erwarten, dass eine weiter sinkende Inflation dazu führen wird, dass die EZB ihre Zinssätze im Laufe des Jahres 2024 in mehreren Schritten senken wird.
Derweil bleibt der deutsche Arbeitsmarkt weiterhin angespannt. Die Arbeitslosenquote zeigte sich im gesamten Jahr 2023 mit 5,5 bis 5,8 Prozent sehr stabil. Im Januar 2024 stieg sie auf 6,1 Prozent. Es wird jedoch erwartet, dass die Arbeitslosenquote im Jahr 2024 sinken wird. Der Fachkräftemangel macht sich im Baugewerbe immer noch bemerkbar. Projekte leiden unter geringerer Produktivität und Effizienz in der Bauphase. Es ist weiterhin erforderlich, qualifizierte Fachkräfte aus der EU nach Deutschland zu holen, um die zunehmend alternde Erwerbsbevölkerung in der Bauindustrie auszugleichen.
Neben der wirtschaftlichen Stagnation wirken sich auch politische Instabilitäten sowie immer wieder auftretende neue Schwierigkeiten (wie z.B. die Beeinträchtigungen der Schifffahrtsroute durch das Rote Meer) negativ auf die deutsche Wirtschaft und das Baugewerbe aus. Die in den letzten Jahren so robuste deutsche Bauindustrie verzeichnete 2023 einen Rückgang der Anzahl bei Auftragseingängen um 5 Prozent im Vergleich zu 2022 (laut den Statistiken von DeStatis, dem Statistischen Bundesamt).
Quelle: Destatis
Bauunternehmer sehen ebenfalls eine Abkühlung des Markts. Eine kürzlich von uns durchgeführte Umfrage bei den führenden Bauunternehmen in Deutschland hat ergeben, dass der Markt sich im Laufe des vergangenen Jahres weiter abgeschwächt hat; die Mehrheit der Unternehmen bezeichnet den derzeitigen Markt als “abgekühlt”.
Quelle: Turner & Townsend contractor survey- Q1 2024
Mit Blick auf die Zukunft wurden die Unternehmen in der gleichen Umfrage bezüglich ihrer Arbeitsauslastung in den kommenden zwei Jahren befragt, die wie erwartet eher rückläufig eingeschätzt wird. Der Trend des Vorjahres setzt sich fort und entsprechend sind die Auftragsbücher der Unternehmen sowohl für dieses als auch für nächstes Jahr noch nicht voll, da die Anzahl der Neuaufträge abnimmt.
Quelle: Turner & Townsend contractor survey - Q1 2024
Der Rückgang der Auslastung, gekoppelt mit mangelndem Vertrauen in den aktuellen Markt, zeigt sich auch in den Ergebnissen unserer aktuellen Umfrage unter deutschen Bauunternehmen. Als größte Herausforderungen für die Unternehmen wird aber erstmals die “politische Instabilität” gesehen, dicht gefolgt von “mangelndem Vertrauen in den Markt” (Nachfrage), “zu viele Auftragnehmer auf der Suche nach Projekten” (Wettbewerb).
Quelle: Turner & Townsend contractor survey- Q1 2024
Alle Konjunkturindikatoren zeigen, dass der Markt in Deutschland schrumpft und sich abkühlt, somit verwundert es nicht, dass Experten ein schwaches Jahr 2024 erwarten, aber eine leichte Erholung für 2025 vorhersagen. Unzweifelhaft wird das sich verschlechternde Geschäftsklima das Baugewerbe vor große Herausforderungen stellen. Um diese Herausforderungen erfolgreich zu meistern, sind sorgfältige Planung und ein pragmatisches Vorgehen erforderlich.
© 2024 Turner & Townsend